Bei Unterhaltsschuldnern ohne erlernte Tätigkeit darf fiktives Arbeitsentgelt zur Berechnung des Unterhalts zugrunde gelegt werden
Urteil des Oberlandesgericht Hamm (Az. 2 UF 213/15)
In Sachen Unterhalt werden jedes Jahr Tausende Prozesse vor deutschen Gerichten ausgetragen. Hier spielt insbesondere die Frage eine Rolle, welche berufliche Tätigkeit derjenige ausübt, welcher zur Zahlung von Unterhalt verurteilt wird. Der Grund: Anhand der gelernten Tätigkeit wird von den meisten Gerichten die Höhe des zu zahlenden Unterhalts festgelegt. Ein Problem ergibt sich in diesem Zusammenhang allerdings dann, wenn der Schuldner keine Tätigkeit erlernt hat. Auf welcher Basis soll das Gericht in diesem Fall den zu zahlenden Unterhalt festlegen? Genau dieser Fall beschäftigte kürzlich das OLG Hamm.
Folgender Sachverhalt lag der Gerichtsverhandlung zugrunde:
Beklagter ist ein 1985 geborener Mann, der seit Mitte 2015 nicht mehr mit seiner Lebenspartnerin und dem gemeinsamen Kind zusammen lebt. Der Beklagte hatte nach dem Absolvieren von zehn Schulklassen seinen Hauptschulanschluss erworben. Danach begann er eine Berufsausbildung zum Gärtner, die er allerdings vor Erreichen eines Abschlusses abbrach. Anschließend verdingte er sich in unterschiedlichen Bereichen, u. a. in mehreren Zeitarbeitsfirmen sowie als Mitarbeiter einer Autowaschanlage. Hier verdiente er ca. 1.300 Euro netto pro Monat über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Arbeitsstelle verlor er schließlich, nach eigenen Angaben schuldlos. In der Folge wurde der Beklagte zum Bezieher von Sozialhilfe.
Nach der Trennung verklagte die Mutter des Kindes den Vater schließlich auf die Zahlung von Unterhalt. Der Fall ging vor das Familiengericht Marl, wo der Kindesmutter ein monatlicher Unterhalt in Höhe von 236.- Euro zugesprochen wurde. Dieser Unterhalt basiert auf der Höhe des letzten Arbeitsentgelts, der angesprochenen ca. 1.300 Euro pro Monat, die der Beklagte bei seiner Tätigkeit in der Autowaschanlage erhielt. Die Mutter sah sich mit der Höhe der Unterhaltszahlungen jedoch nicht einverstanden und legt Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts ein. Dadurch ging der Fall in nächster Instanz vor das Oberlandesgericht Hamm.
Hier konnten die Richter an der vom Familiengericht getroffenen Entscheidung keinen Makel finden und wiesen schließlich die Beschwerde der Mutter zurück. Das Gericht stellte fest, die Vorinstanz habe dem Beklagten zu Recht ein Einkommen in Höhe des letzten bekannten Arbeitsentgelts angerechnet und die Zahlungen des Unterhaltes auf Basis dieses Einkommens festgelegt.
Weiterhin stellte das Gericht fest, dass Eltern grundsätzlich gegenüber minderjährigen und unverheirateten Kindern dazu verpflichtet seien, sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zum Unterhalt ihrer Kinder und sich selbst gleichmäßig zu verwenden. Dabei spreche man auch von einer gesteigerten Unterhaltspflicht. Der unterhaltspflichtige Elternteil habe seine Arbeit dafür einzusetzen. Sollte er dies unterlassen, so stehe es dem Gericht frei, fiktive erzielbare Einkünfte als Grundlage für die Berechnung von Unterhaltsansprüchen zu nutzen.
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der unterhaltspflichtige Elternteil eine reale Beschäftigungschance habe. Sei dies nicht der Fall, so müsse der Unterhaltspflichtige das Fehlen dieser Beschäftigungschance glaubwürdig darlegen und entsprechend beweisen. Grundsätzlich gebe es jedoch für volljährige und gesunde Unterhaltspflichtige keinen sogenannten Erfahrungssatz, nach dem diese nicht in eine unbefristete Vollzeittätigkeit zu vermitteln seien. In diesem Zusammenhang genüge es nicht, sich lediglich bei der Agentur für Arbeit als arbeitslos zu melden. Auch reine Bewerbungen auf die vom Jobcenter unterbreiteten Angebote zählten nicht als ein genügendes Bemühen zur Aufnahme einer Arbeitsstelle. Vielmehr sei es notwendig, eigenständige Schritte in kontinuierlichen Abstand dazu zu unternehmen, eine neue Erwerbsmöglichkeit zu finden. In diesem Zuge könne auch die Aufnahme einer Nebentätigkeit zumutbar sein.
Anschließend kamen die Richter zurück zum hier vorliegenden Fall und stellten fest, dass es keinen Nachweis darüber gäbe, dass der Angeklagte das vom Familiengericht auf Basis der letzten Tätigkeit geschätzte monatliche Einkommen von ca. 1300 Euro nicht erzielen könne. Da er sich zudem nicht um eine Nebentätigkeit bemüht habe, könne das fiktive Einkommen durchaus zur Berechnung des Unterhalts zugrunde gelegt werden.
Fazit zum Urteil:
An diesem Urteil wird ersichtlich, dass Menschen ohne Beschäftigung hinsichtlich einer geforderten Unterhaltszahlung sich nicht ausschließlich auf eben dieses Fehlen einer Beschäftigung berufen können und somit quasi „aus dem Schneider“ sind. Wer arbeitslos ist und nicht zweifelsfrei nachweisen kann, dass er keine Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung bzw. eine entsprechende Nebentätigkeit hat, muss damit rechnen, Unterhalt zahlen zu müssen. Die finanzielle Grundlage für diesen Unterhalt schätzt das Gericht dann auf Basis der letzten bekannten Tätigkeit und dem damit verbundenen Einkommen. Ist das letzte Einkommen nicht bekannt, wäre es sogar denkbar, dass die Gerichte ein völlig frei definierbares Einkommen als Basis und Berechnungsgrundlage für den Unterhalt nutzen.